Dieser Gastartikel von Andree Blumhoff ist im April 2022 in der sechsten Ausgabe des Magazins Corporate Newsroom erschienen.
Markt- und Branchenstudien wie der Global Communication Monitor bzw. European Communication Monitor von EUPRERA und des EACD, der Global Communication Report des USC Annenberg Center for Public Relations oder der Digital News Report von Reuters zeigen für verschiedene Märkte regelmäßig auf, wie sich die PR-Profession entwickelt und welchen Herausforderungen sie sich vor dem Hintergrund der digitalen Transformation gegenübersieht.
Viele Kommunikationsleute stehen damit vor weitreichenden beruflichen Umbrüchen, da sie im Zuge der zunehmenden Konvergenz der Medien und Kanäle auch mit einer immer stärkeren Verschmelzung der Arbeitsbereiche PR und Marketing konfrontiert werden. Es gibt eine Vielzahl von Kanälen und Zielgruppen mit unterschiedlichen Anforderungen an Themen und Content. Inhalte verbreiten sich so rasend schnell, dass nicht selten in Echtzeit agiert werden muss. Neue Disziplinen wie das Content-Marketing und Influencer-Marketing sind Ausdruck dieser Konvergenz.
Getriggert durch die Digitalisierung wirken sich Änderungen im Mediennutzungsverhalten und Kommunikationsverhalten v.a. in der jüngeren Zielgruppe der Millennials bzw. Generation Y direkt auf die professionelle Kommunikation in Organisationen und damit indirekt auch auf Branchenakteure im Research- und Analytics-Markt aus.
Gleichzeitig erfolgt eine zunehmende Relevanzzuschreibung von Big Data, eigentlich ein Begriff aus der Business Intelligence, der im Zuge der Diskussion von Automatisierung im PR-Management genutzt wird. Damit einher gehen wachsende Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen für Analytics. Fakt ist: Umso stärker Datenmenge und -geschwindigkeit wachsen, desto mehr sind Verdichtungs- und Beratungsleistungen rund um dieses Thema gefragt und notwendig.
Anhand eines Modells werden die Abhängigkeiten sichtbar und zeigen, wie sehr die Änderungen im Mediennutzungsverhalten durchschlagen. Sowohl auf die professionelle Kommunikation in Organisationen als auch auf die Research- und Analytics-Branche.
Die Mediennutzung lässt auf zwei zentrale Aspekte schließen:
- Über welche Kanäle und mit welchen Formaten v.a. professionelle Kommunikation (PR/Marketing) ihre Zielgruppen bzw. Stakeholder erreicht
- Welche Anforderungen damit gleichzeitig bzgl. auszuwertender Kanäle, Formate und eingesetzter Technologien bis hin zur Informationsverdichtung gestellt werden
In der Branche wird dies unter dem Begriff CommTech (Communication Technology) diskutiert – analog zum Begriff MarTech aus dem Marketing. Die Debatte um CommTech erweitert den bisherigen Blick auf digitale Technologien als Kanäle und Instrumente (Social Media, Websites, Intranets) um die Frage, wie digitale Technologien entlang der gesamten Stakeholder-Journey unterstützen können. Einen guten Überblick zum Thema CommTech liefert die Akademische Gesellschaft für Unternehmensführung & Kommunikation.
Verschiedene Initiativen und Arbeitsgemeinschaften wie die ComImpact in der Schweiz oder die AG CommTech forcieren die Förderung der CommTech-Kompetenzen der Kommunikationsbranche und bauen Netzwerke auf.
Digitalisierung von Research & Analystics
Alle diese Entwicklungen stellen die Media-Intelligence-Branche vor neue Herausforderungen. Dies umfasst v.a. die Datenintegration mit Zugriff auf multi- und crossmediale Inhalte sowie deren schnelle Verarbeitung und Aggregation: von Podcasts, Plattformen wie TikTok, Instagram Reels und viele andere mehr. Die Plattformen kommen und gehen, die Multimedialität der Inhalte und Formate mit Text, Audio, Bild und Video bleibt aber. Der Aufwand der Integration ist teilweise sehr hoch oder gar nicht möglich, wenn bestimmte Player es erst gar nicht zulassen.
Welche Auswirkungen hat das für Anbieter in der Media-Intelligence-Branche? Diese lassen sich mit drei wesentlichen Trends kennzeichnen:
- Die Veränderung durch (Social) Big Data und Anwendung von Predictive Analytics zur Gewinnung strategischer Insights.
- Die Veränderung der klassischen Werbebranche und Etablierung und Professionalisierung eigenständiger Disziplinen und Player im Bereich Influencer-Marketing mit eigenen Plattformen zur Influencer-Identifikation, Planung und Durchführung von Kampagnen mit ausgesuchten Influencer*innen und anschließender Erfolgskontrolle.
- Die Veränderung der klassischen Marktforschungsbranche, die unter anderem mit ihrem etablierten Modell der Befragung und Panelforschung an Grenzen (Repräsentativität) stößt und durch weiterentwickelte Analysemethoden und Player im Bereich Social-Media-Listening herausgefordert wird.
Der neue Anbieter-Markt
Ein großer Marktplatz, auf dem sich bisher getrennte Branchen und Anwendungen treffen und vermischen:
Traditionelle Media-Intelligence-Anbieter…
… mit Full-Service-Angeboten rund um Themenerkennung, Trendidentifikation und redaktionelles Reporting wie FirstSignals® von pressrelations oder vergleichbare Services von Anbietern wie Echo Research, CARMA, iSentia und vielen mehr.
Potenzielle Märkte
Technologiegetriebene SaaS-Unternehmen mit Social Intelligence/Listening und digitalen Research-Plattformen für Content Discovery & Marketing, Risiko- & Trendidentifikation. Dazu gehören Player wie Plotlights, Talkwalker, Meltwater/Linkfluence, Brandwatch/Cision, NetBase Quid, Pulsar, Signal AI, Newswhip, Storyclash, Storybeat, TrendSpottr oder synthesio (Ipsos).
Strategischer Neuanfang
Nischenanbieter in Bereichen wie Trend-, Technologie-/Start-up-Scouting, für HR- und Talentscouting oder ESG/CSR und Risikomanagement:
- Trendscouting: Dazu gehören Anbieter wie das Zukunftsinstitut, Future Today Institute, Trend Hunter, Trendwatching oder Trendone
- Trendscouting: Dazu gehören Anbieter wie das Zukunftsinstitut, Future Today Institute, Trend Hunter, Trendwatching oder Trendone
- Technologie-/Start-up-Scouting: CB Insights, Crunchbase oder Product Hunt
- ESG / Risk Management / Threat Intelligence: Plotlights, Sentifi, Act Analytics, SG Analytics, Peloria oder RepRisk
- Threat Intelligence: Plotlights
Potenzielle Wettbewerber
- KPMG, Deloitte, PwC, EY
- Roland Berger, McKinsey
- IBM, Accenture
- Forrester, Gartner
- Ipsos, GFK
- SVP, Wunderman Thompson (WPP Group)
Neue Forschungsmethode zur Trendidentifikation
Die Digitalisierung forciert das Wachstum des Research und Analytics-Markts, auch verstärkt durch die einhergehende Veränderung herkömmlicher Business- und Market-Intelligence-Techniken und Marktforschungsmethoden hin zu weiterentwickelten Analysemethoden wie Social Listening. Diese erweitern die Möglichkeiten der integrierten Erfassung von Wahrnehmung, Nutzung, Meinungen und Emotionen auf der Outcome-Ebene von Kommunikation. Eng verwandt sind auch Methoden und Researchansätze wie Market Sensing und Corporate bzw. Strategic Foresight.
Die zur Verfügung stehenden Methoden und Tools sind damit nicht mehr nur beschränkt auf die Messung der Wirkung von Kommunikationsmaßnahmen. Gleichzeitig sind (Social) Big Data eine einzigartige Quelle für die Identifikation neuer Trends, Themen, Issues, Konsumbedürfnisse und Influencer*innen als Input für Kommunikationsmaßnahmen.
Eine ganz neue Positionierung weit über die Erfolgskontrolle und klassische Evaluation von Kommunikationsmaßnahmen hinausgehend. Das ist zwar kein neuer Anspruch und Anwendungsbereich z.B. klassischer Medienresonanzanalysen, nur muss mittlerweile nicht mehr aufwändig die Datenerhebung erfolgen.
Der Schwerpunkt liegt auf einer datengetriebenen, das heißt proaktiven Generierung von Insights durch die explorative Analyse von verfügbaren Daten und Identifikation von schwachen Signalen (weak signals). Researchansätze zur Themenfrüherkennung wie FirstSignals® von pressrelations kombinieren automatisiertes Text-Mining mit der Leistung erfahrener Redakteur*innen und Analyst*innen, um diese ersten schwachen Signale eines gerade erst entstehenden Trends zu identifizieren.
So können bspw. mit clusteranalytischen, explorativen Netzwerkanalysen Diskussionen in sozialen Netzwerken, aber auch klassische Berichterstattung durch ihre Nähe und Ferne zueinander in sogenannte Conversation Clusters zusammengefasst und die semantische Struktur offengelegt werden. Die Zuordnung in diesen Topic Models wird in der Regel mit einem automatischen Labeling verbunden, um dem Cluster eine eindeutige semantische Bezeichnung zu geben.
Der Aufwand von Analyst*innen und Researcher*innen beschränkt sich dann „nur“ noch auf die Interpretation dieser Ergebnisse, um daraus die richtigen Schlüsse und handlungsleitenden Empfehlungen für das Kommunikationsmanagement zu ziehen.
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Input für die Themenplanung im Corporate Newsroom
Technische Schnittstellen bieten mittlerweile die Möglichkeit, den Kommunikationsverantwortlichen diese Inputs in der Phase der Ideenfindung in den Oberflächen von integrierten Themenplanungstools wie dirico (Anm. d. Red.: Die Software dirico wurde nach der Übernahme durch Staffbase in Communications Control umbenannt. Mittlerweile existiert mit Staffbase Mission Control ein Nachfolgeprodukt.) anzuzeigen, um sie direkt weiterzuverarbeiten.
Der Import kuratierter Beiträge zu ausgewählten Themenclustern erfolgt durch dynamische Feeds mittels rss, xml oder json. Das Strategieteam des Newsrooms kann auf der Grundlage dieser Inputs Themen definieren, deren Planung durch das Themenmanagement erfolgt.
Das Medienmanagement bereitet die Themen dann für die unterschiedlichen Kanäle auf. Die erstellten Inhalte werden anschließend in Owned Media veröffentlicht und gegebenenfalls von Earned Media aufgegriffen.
So lässt sich mittlerweile die letzte Lücke im Kommunikationskreislauf für die Konzeptions- und Planungsphase nahtlos mit Daten schließen, ohne sich mit diversen Plattformen auseinandersetzen zu müssen.
Lesetipps
Predictive Analytics with Social Media Data
Lassen, N. B.; Cour L. la; Vatrapu, R. (2016). In: The SAGE Handbook of Social Media Research Methods
Alternative Market Research Methods: Market Sensing
Longbottom, David & Lawson, Alison (Hrsg.) (2016). Routledge
Digital Transformation of the Consulting Industry – Introduction and Overview
Nissen, V. (2018). In: Nissen, V. (ed.), Digital Transformation of the Consulting Industry. Extending the Traditional Delivery Model. Springer International Publishing, S. 1-58.
Trend Scanning, Scouting and Foresight Techniques
Rohrbeck, R. (2013). In: Gassmann, O. & Schweitzer, F. (eds.), Front End of Innovation: Managing the Unmanageable Fuzzy Side
Marktforschung der Zukunft – Mensch Oder Maschine? Bewährte Kompetenzen in neuem Kontext (S. 79-92)
Seitz, J. (2016). Predictive Analytics. In B. Keller, H.-W. Klein & S. Tuschl (Hrsg.), Wiesbaden: Springer Gabler
Irreversible: The Public Relations Big Data Revolution
Weiner, Mark & Kochhar, Sarab (2016). IPR Institute.
Startklar für Big Data. Chancen, Voraussetzungen und Anwendungen für die Unternehmenskommunikation
Wiencierz, C., Berger, K., Röttger, U. & Wietholt, C. (2017). (Communication Insights, Issue 4) Leipzig, Deutschland: Akademische Gesellschaft für Unternehmensführung & Kommunikation.