Kaum eine Industrie wurde so hart von der Coronakrise getroffen wie die Luftfahrt- und die Reisebranche und kein anderer DAX-Konzern so hart wie Lufthansa – der Kurseinbruch führte sogar zum Abstieg in den MDAX. Was bedeutete das für die Arbeit der Kommunikator*innen im Lufthansa-Newsroom? Ein Interview mit Michiel Bogaert

Dieser Artikel ist in der vierten Ausgabe des Magazins Corporate Newsroom erschienen, das als kostenfreier Download zur Verfügung steht.

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Eine Lufthansa-Maschine auf dem Flughafengelände
Ein gewohntes Bild in 2020: eine Passagiermaschine am Boden statt in der Luft

Ende Januar wurde der erste Corona-Fall in Deutschland bekannt. Die Gefahr einer Pandemie sahen damals noch die wenigsten. Wie war die Einschätzung zu diesem Zeitpunkt im Lufthansa-Newsroom?

In der Unternehmenskommunikation hat der erste bekanntgewordene Corona-Fall noch kein konkretes To-do ausgelöst. Jedoch haben wir von Anfang an die Entwicklung intensiv beobachtet. Unsere Kolleg*innen in China und Singapur hatten uns schon seit Anfang Januar über die Entwicklungen in Asien auf dem Laufenden gehalten. So hatten wir die Entwicklung in Deutschland im Blick, doch wir konnten damals noch nicht wissen, ob es zu etwas Größerem wird oder nicht.

Michiel Bogaert ist im Lufthansa-Newsroom unter anderen zuständig für Themenplanung
Michiel Bogaert studierte angewandte Linguistik, International Relations & Business, kam 2017 zur Lufthansa Group und gehört heute im Newsroom zum Strategie-Team, ist Kanalverantwortlicher für die internen Medien, verantwortet das Media-Monitoring und die Medienanalyse.

Informiert das Risikomanagement den Newsroom umgehend über ein potenziell kritisches Thema?

Wenn das Unternehmen einen Krisenstab einberuft, ist die Unternehmenskommunikation darin vertreten. Grundsätzlich nehmen wir aber ständig teil am Informationsfluss der Corporate-Security Abteilung. So können wir mit einschätzen, ob ein kritisches Thema kommunikationsrelevant werden könnte. Außerdem sind die Mitarbeiter*innen des Newsrooms im ganzen Unternehmen sehr gut vernetzt. Der Newsroom hat sich als Ansprechpartner für alle Fachbereiche etabliert.

Wann fielen das erste Mal die Begriffe „Corona“ und „Covid-19“ in einer Redaktionskonferenz des Lufthansa-Newsrooms? Und was waren erste Maßnahmen in der Unternehmenskommunikation?

Im Newsroom und im Flugbetrieb haben wir bereits darüber gesprochen, als die ersten Fälle in China bekannt wurden. Wir waren unter anderem durch die gute interne Vernetzung sehr früh informiert und konnten kommunikativ schnell reagieren. In der externen Kommunikation haben wir den Begriff „Corona“ zum ersten Mal am 29. Januar aktiv verwendet, als es darum ging, die Flüge nach China auszusetzen.

Leere Sitze in der Business Class einer Lufthansa-Maschine
Worüber spricht eine Airline, die keine Fluggäste mehr befördern darf? „Alle geplanten Inhalte waren nicht mehr relevant“, berichtet Michiel Bogaert.

Wann wurde Ihnen klar: Unsere Themenplanung für 2020 können wir über den Haufen werfen?

Zu Beginn war Corona ein Thema unter vielen. Aber dann führten ab Ende Februar immer mehr Länder Reiserestriktionen ein. Man kann sagen: Binnen weniger Wochen hat sich die Welt abgeschottet. Unsere Fluggäste konnten nicht mehr reisen, was direkte Auswirkungen auf unseren Flugbetrieb hatte. Spätestens dann war uns im Newsroom klar: Alle geplanten Kommunikationsthemen können wir vergessen – und zwar nicht nur für ein paar Wochen, sondern für die nächsten Monate. Zu diesem Zeitpunkt haben wir den Newsroom in den Krisenmodus versetzt. Die Ansage war: „Eure Priorität ist Corona. Alles andere bleibt liegen.“

Pressekonferenz der Lufthansa Group
Dieses Bild stammt von einer Pressekonferenz der Lufthansa Group aus „Vor-Corona-Zeiten“.

Zunächst ging es um Flugplanänderungen und dann um das fast komplette Aussetzen des Flugverkehrs. Den teilweise im Auftrag der Regierung durchgeführten Rückholaktionen konnten wir hinsichtlich der Kommunikation sogar noch etwas Positives abgewinnen. Aber auch das war natürlich ein Thema, das wir weder erahnen noch vorbereiten konnten. Auf dem Redaktionsplan standen vollkommen andere Themen. Als Themenplaner war es für mich persönlich in dieser Rolle schon fast eine existenzielle Krise (lacht). Ich konnte meinen eigentlichen Job nicht mehr machen. Alle geplanten Inhalte waren nicht mehr relevant und es war nicht wirklich möglich, irgendetwas vorauszuplanen. Meine Aufgabe bestand auf einmal darin, von Tag zu Tag für die Übersicht über die aktuelle Lage zu sorgen. Eine langfristige Planung machte keinen Sinn.

„Wir konnten nur so flexibel agieren, weil der Newsroom schon etabliert war.“

Michiel Bogaert

Also haben Sie nicht etwa einen Corona-Themendesk eingerichtet, wie es in anderen Newsrooms der Fall war, sondern der gesamte Lufthansa-Newsroom hatte nur noch ein Thema.

Genau, und das ist bis heute so. Fast alle unsere aktuellen Themen finden ihren Ursprung in Corona. Themenverantwortliche wurden damals von ihren eigentlichen Themen abgezogen und hatten dann neue Themenverantwortlichkeiten wie etwa Rückholaktionen, die Umwandlung von Passagier- zu Cargo-Maschinen, welche Schutzmaskenlieferungen nach Europa gebracht haben, oder die wirtschaftliche Krise des Konzerns sowie das Thema Staatshilfen und später das langsame Wiederhochfahren des Flugbetriebs. Wir konnten nur so flexibel agieren, weil der Newsroom schon etabliert war und alle Kolleg*innen die Prozesse sehr gut kannten. Hinzu kam auch, dass wir im Bereich ebenfalls Kurzarbeit eingeführt haben. Auch das trug dazu bei, dass wir noch stärker Themen priorisieren mussten.

Eine Cargo-Maschine der Lufthansa wird mit Gütern beladen
In der Coronakrise wurden einige Passagier- zu Cargo-Maschinen umgewandelt, um Schutzmasken zu transportieren (Symbolbild).

Welche Maßnahmen wurden noch ergriffen?

In unserem täglichen Media-Monitoring gab es einen Teil, der sich nur um Covid-19 drehte. Und den haben wir uns nicht nur im Newsroom angesehen, sondern dem ganzen Konzern zur Verfügung gestellt. Denn andere Abteilungen brauchten diese Informationen auch.

Wurde der physische Newsroom irgendwann ganz geschlossen, wurden alle Mitarbeiter*innen ins Homeoffice geschickt?

Wir haben den physischen Newsroom nie geschlossen. Das lag daran, dass wir ganz früh einen Test durchgeführt haben, bei dem wir alle einen Tag lang von zu Hause gearbeitet haben. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass der CvD und die Kanalverantwortlichen am besten arbeiten können, wenn sie gemeinsam am Newsdesk sitzen. Dennoch versuchen wir im Bereich so viele Tätigkeiten aus dem Homeoffice zu machen wie möglich. So arbeiten die Themenverantwortlichen in der Regel von zu Hause.

Waren Sie auf die Remote-Arbeit gut vorbereitet?

Letztes Jahr wurde ein Collaboration-Tool bei der Lufthansa Group eingeführt. In unserer Abteilung war der Umstellungsprozess noch nicht zu 100 Prozent abgeschlossen. Das führte anfangs zu parallelen Kommunikationswegen und Ineffizienzen, die nun aber behoben sind.

„Auch die Mitarbeiter*innen sind eine Zielgruppe des Newsrooms.“

Michiel Bogaert

Stehen aktuell (Stand Herbst 2020; Anm. d. Red.) im Lufthansa-Newsroom überhaupt noch andere Themen auf der Agenda als das Coronavirus und seine Folgen?

Aktuell gibt es keine anderen Themen. Das Thema Hygiene bei der Reise ist sehr wichtig geworden und wird vermutlich zum Dauerthema werden. Unser Ziel ist es, das Vertrauen unserer Fluggäste in das Fliegen zurückzugewinnen und sie davon zu überzeugen, dass die ergriffenen Hygienemaßnahmen an Bord eine sichere Reise ermöglichen. Dazu haben wir die Kundenkommunikation in den Newsroom geholt. Die ist eigentlich in der Marketingabteilung angesiedelt. Um einheitlich kommunizieren und besser zusammenarbeiten zu können, sitzt aus diesem Team jetzt jemand bei uns im Newsroom.

Mitarbeiterinnen eines Lufthansa Services Centers geben zwei Fluggästen eine Auskunft
Alle Mitarbeiter*innen sind Multiplikatoren für Unternehmensbotschaften. Sowohl während der Arbeitszeit als auch im privaten Umfeld.

Neben den offiziellen Accounts bekommen auch Mitarbeiter*innen den Zorn von verärgerten Fluggästen ab, die etwa auf die sofortige Erstattung von Tickets pochen. Gab es Programme, um sie in dieser Situation kommunikativ zu unterstützen?

Die Kolleg*innen mit Kundenkontakt oder diejenigen, die unsere Social-Media-Kanäle betreuen, haben natürlich Sprachregelungen vorliegen. Ich selbst werde vermehrt von Freunden angesprochen, die Verständnisfragen zum Thema Fliegen haben. Als Kommunikator weiß ich, was ich darauf antworten kann. Aber wie mir geht es vielen. Generell sind natürlich auch die Mitarbeiter*innen eine Zielgruppe des Newsrooms und darüber hinaus Multiplikatoren für Kommunikationsbotschaften. Wir bereiten unsere Themen immer auch für die internen Kanäle und Medien auf und unterstützen hoffentlich so unsere Kolleg*innen bei Gesprächen im privaten Umfeld.

Im Lufthansa-Newsroom arbeiten viele erfahrene Profis, die es nicht zum ersten Mal mit Krisenkommunikation zu tun haben. Aber kommen selbst diese an ihre Grenzen, wenn ein Ereignis mit diesem Ausmaß auftritt?

Es war zeitweise sehr anstrengend – und bestimmt nicht nur für die Unternehmenskommunikation. Aber ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass wir im Newsroom mit der Situation überfordert waren.

„Wir haben schnell dazugelernt.“

Michiel Bogaert

Was sind die größten Lehren für die Krisenkommunikation?

Wir haben gemerkt, dass die Struktur des Newsrooms, Rollen und Prozesse sinnvoll aufgesetzt sind. Dank der Tatsache, dass wir den Newsroom schon so gut lebten, hat sich unsere Newsroomstruktur in einer Ausnahmesituation bewährt. Wir konnten uns schnell und flexibel an neue Themen und an die neue Ressourcen-Situation anpassen. Beim Remote-Arbeiten haben wir schnell dazugelernt – und wir lernen immer noch. Was wir für die Zukunft mitnehmen, ist, dass wir noch schneller die Themenverantwortlichkeiten umwandeln können. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass den Kolleg*innen im Homeoffice keine Informationen fehlen. Alle müssen immer wissen, was los ist, um den Kontext für ihre Arbeit zu haben.

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