Dieses Interview mit Christiane Germann führte Marcus Schwarze. Es erschien im Mai 2021 in der fünften Ausgabe des Magazins Corporate Newsroom und im 250 Seiten starken Handbuch Corporate Newsroom.
Christiane Germann berät Behörden bei der Social-Media-Kommunikation. Im Interview erklärt sie, wie auch kleine Behörden eine eigene Strategie auf den Kanälen umsetzen können, was aus ihrer Sicht während Corona zu stark vernachlässigt wird – und welche Zeit die beste ist zum Posten von umstrittenen Themen.
In einem nicht ganz unwichtigen Dokument unserer Zeit, dem nationalen Pandemieplan, geht es auf 71 Seiten um medizinische Versorgung, Arzneimittel, Impfungen. Gerade einmal drei Seiten beschäftigen sich mit Kommunikation und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Zentrale Rolle spielt dabei die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA). Waren Sie schon einmal auf deren Facebook-Seite?
Christiane Germann: Ich kenne nur deren Website.
Es gibt auch keine Facebook-Seite der BzgA.
Das dachte ich mir schon. Sonst hätte ich sie bestimmt gekannt.
Wie läuft die Regierungskommunikation aus Ihrer Sicht?
Die ist ja aufgeteilt auf sehr vielen Schultern. Der Bund hat Zuständigkeiten, die Länder informieren und auch die Kommunen. Da geht die Schere natürlich weit auseinander. Manche Behörden machen das super, andere weniger gut. Das Bundesgesundheitsministerium hat sehr viele gute Sachen gemacht. Uns allen werden jeden Tag ihre Erklärvideos und -grafiken angezeigt. Auf Websites finden sich sehr gute FAQs zu einzelnen Themen. Und man merkt, dass viel Geld in Werbung gesteckt wird. Die Infos werden in der Google-Suche gefunden. Es gibt mit Facebook eine Kooperation, dass deren Infos sofort gefunden werden können, wenn es um Corona geht. Das haben die super gemacht.
Was mir allerdings auffällt: Das Bundesgesundheitsministerium macht kaum noch Community-Management. Am Anfang wurden viele Fragen beantwortet. In der Krisenkommunikation ist mit das Wichtigste: die Fragen der Bürger so schnell wie möglich und so viele wie möglich zu beantworten. Das vermisse ich auf Facebook und Twitter. Content ist das eine, auf die Kommentare dann eingehen das andere.
Woran liegt das?
Das frage ich mich auch. Von einem Schulministerium habe ich gehört, dass ihnen schlicht die Ressourcen fehlen. Sie sind unterbesetzt im Kommunikationsteam und schaffen es gerade so, einen Facebook-Post zu machen. Und dann erhalten sie auch noch Hunderte von Kommentaren. Wenn man da nicht moderiert und antwortet, ist das ein krasser Fail. Dabei ist das Community-Management gerade in der Krise das Wichtigste. Es gibt gerade auf lokaler Ebene viele gute Beispiele, wenn Bürgermeister und Landräte livegehen. Viele Behörden haben gemerkt, wie wichtig Social Media sind. Das hatten viele vorher nicht auf dem Schirm. Die Umsetzung ist manchmal noch holprig.
Was läuft bei manchen Behörden falsch, neben dem Community-Management?
Vor Corona war es so: Manche Sachen waren schlicht langweilig. Da gab es Bilder von Behördenleitungsterminen, die nur wenige interessieren. Seit Corona haben viele Kommunen die Sichtweise gewechselt. Sie informieren jetzt aus Sicht der Bürger, mit Grafiken und guten Erklärungen, manche haben auch Facebook-Gruppen gegründet, und da sage ich: Wow, die haben es in der Krise echt gut gemacht und sind zu neuen Höhen aufgelaufen. Ich kenne eine Kommune, die hat keine eigene Facebookseite, aber dafür eine Mitarbeiterin, die sich im Namen der Kommune in Facebook-Gruppen äußert, die eh schon da sind. So kann man das auch machen.
Wie ist die grundlegende Herangehensweise, wenn Behörden bei Social Media einsteigen?
Kommunikation sollte heute auf drei Säulen stehen: Pressearbeit, Internetseite, Social Media. Wichtig ist, dass diese drei gleichwertig auf einer Stufe stehen. Dann braucht es eine Strategie: Was wollen wir kommunizieren, und was soll es uns bringen? Als Kommune könnte das sein, über Corona zu informieren, aber auch, neue Mitarbeitende zu finden oder die Wahlbeteiligung unter Jugendlichen zu erhöhen. Anschließend ist zu klären: Welche Zielgruppen müssen wir dazu ansprechen?
Zumindest bis Corona waren Social-Media-Aktivitäten von Datenschutzbeauftragten unter starker Beobachtung. Dürfen die das überhaupt?
Ich bin keine Juristin, weiß aber, dass die Realität die rechtliche Grauzone längst überholt hat. Die Bundeskanzlerin hat einen der erfolgreichsten Insta-gram-Kanäle der Politik. Das Bundesjustizministerium ist bei Facebook. Das zeigt, dass Social Media für Behörden zumindest nicht verboten ist. Es ist zwar umstritten, ob Facebook und Twitter DSGVO-konform sind. Es ist aber unrealistisch, dass Behörden da raus müssen. Behörden haben während Corona gezeigt, dass sie Krisenerklärer sind und man sie in den sozialen Medien schätzt und braucht.
Dürfen Behörden auch frech sein? Da gab es diesen viral gegangenen Post der Landesregierung Rheinland-Pfalz, in dem eine Grafik die Abstandsregel 1,5 Meter in Pandemiezeiten veranschaulichte und zusätzlich einen Abstand von 100 Metern zu Verschwörungstheoretikern.
(lacht) Ich würde eher sagen: Nein. Eigentlich ist es gut, wenn Behörden auch mal lustig und frech sind. Ich bin großer Fan von einigen Polizei-Accounts. In Pandemiezeiten wäre ich mit Witzen aber eher vorsichtig.
Durch Zuspitzen und Verkürzen in Sharepics entsteht häufig die Gefahr von Ungenauigkeit, womit sich Behörden auch angreifbar machen könnten.
Das lässt sich leicht lösen. Gerade bei Facebook lassen sich die ausführlichen Infos im Text unterbringen. Die Bild-Text-Grafik muss schon immer ein Eyecatcher sein. Die genaue Verordnung im Wortlaut kann man ja darunter verlinken.
Welche Qualifikation braucht man in den Behörden für gute Social-Media-Arbeit?
Diese Art der Kommunikation müsste unbedingt auch in den Fachhochschulen der Verwaltung gelehrt werden. So geht das zurzeit nur über Fortbildungen. Ich rate auch immer dazu, journalistisches Schreiben und Storytelling zu lernen. Schreiben als Behörde ist etwas ganz anderes als Schreiben für Social Media. Größere Behörden mit zum Beispiel drei, vier Leuten im Social-Media-Team sollten gemischt zusammengestellt werden – aus Verwaltungsleuten und Externen, die was mit Medien gelernt haben, zum Beispiel Journalist*innen und Mediengestalter*innen.
Und in kleinen Kommunen?
In kleineren Behörden ist es häufig nur eine Person, die aus der Verwaltung kommt, da würde ich dann eine Fortbildung empfehlen und für bestimmte Aufgaben wie Grafiken oder Videos Dienstleister ins Boot holen. So bleibt Zeit, sich um die Kommentare zu kümmern.
Wie kommt eine einzelne Person mit den vielen Aufgaben klar?
Es geht auch darum, sich gut zu organisieren. Wer für Donnerstagvormittag einen Post zu einem umstrittenen Bauprojekt plant, muss natürlich damit rechnen, dass dazu Fragen kommen. Es hilft, sich im Vorfeld ein paar Tage vorher gemeinsam mit dem Bauamt über diese Fragen Gedanken gemacht und sich mögliche Antworten abgespeichert zu haben. Wenn man dann als Social-Media-Manager*innen schon mal auf 80 Prozent der Fragen Antworten parat hat, lässt es sich leichter arbeiten. Und es bleibt Zeit, für weitere Spezialfragen noch mal bei den Kolleg*innen der Fachabteilung gezielt nachzufragen. Gute Vorbereitung ist alles.
Aber es entfällt dadurch ein Post auf einem Freitag um 18 Uhr, oder?
Das ist sicher nicht die beste Zeit für das kontroverseste Thema, das hängt natürlich auch von der Wochenendbesetzung im Social-Media-Team ab. Wenn es sich steuern lässt, wäre das eher etwas für einen Mittwochvormittag.
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