Immer öfter habe ich das Gefühl, dass mir gerade alles zu viel wird.
Zuerst war es der Mangel an sozialen Kontakten durch die COVID-19-Pandemie, gefolgt von Veränderungen der Arbeitskultur, dazu kamen die erschütternden Bilder der russischen Invasion in die Ukraine und auch die Angst vor einer Wirtschaftskrise. Und dann sind das auch noch die persönlichen Herausforderungen und der übliche Alltagsstress.
Herausforderungen werden komplexer und kommen gerade so schnell hintereinander, dass ich sie kaum verarbeiten kann. Schlimmer noch: Ich bin gestresst, selbst wenn ich darüber nachdenke, wie ich Probleme angehen soll.
Der Gedanke, weitere Herausforderungen nicht bewältigen zu können, macht mir Angst. Was, wenn ich den Anforderungen und Zwängen dieses beschleunigten und komplexeren Umfelds nicht gewachsen bin? Was, wenn die steigenden Belastungen beruflich und persönlich zu viel werden?
Es hilft mir zu wissen, dass ich mit diesem Gefühl der Überforderung nicht allein bin.
Kommunikationsprofis auf der ganzen Welt kämpfen mit ihrer psychischen Gesundheit. Eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zeigt: Psychologische Unterstützung wurde eines der wichtigsten Themen während der Pandemie. Eines der befragten Unternehmen beauftragte Case-Manager, die normalerweise für die Wiedereingliederung von verunfallten Mitarbeitenden zuständig sind, sich vermehrt um die Seelsorge-Hotline kümmern.
Laut einer Studie des Centre for Strategic Communication Excellence, haben 48 % der Kommunikator*innen erwogen, den Beruf aufzugeben, um ihr geistiges Wohlbefinden zu schützen, und zwei Drittel der Kommunikationsprofis haben sich seit Beginn der Pandemie aufgrund ihres psychischen Zustands freigenommen.
Die Statistiken sind eindeutig: Kommunikator*innen sind ausgebrannt.
Zwischen dem Bewältigen der verschiedenen Krisen und den aktuellen Wandlungen im Arbeitsumfeld sehen sich insbesondere interne Kommunikator*innen mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Als Profis der internen Kommunikation bilden sie das Bindeglied zwischen Management und Mitarbeiter*innen – und halten oft auch als deren Puffer her. Sie müssen die Botschaften des Managements verstehen und diese dann effektiv und verständlich kommunizieren. Gleichzeitig müssen sie aber auch die Stimmung der Belegschaft kennen und die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen wahrnehmen.
Sie stecken in der Mitte fest und balancieren die unterschiedlichen Erwartungen der Stakeholder. Das bedeutet leider auch, dass sie ständig unter Druck stehen.
Was ist die Lösung?
Ein Mittel gegen Stress ist das Konzept der Resilienz.
Leider wird Resilienz oft als Fähigkeit oder Eigenschaft dargestellt, die wir erlernen können. Es ist zu einem Schlagwort in der Unternehmenswelt geworden, zu einem weiteren modernen Management-Tool, eine Wunderpille gegen Stress sozusagen. Eine, die es uns ermöglicht, wieder fokussierter und effizienter zu arbeiten.
Aber so einfach ist es nicht.
Was bedeutet Resilienz?
Resilienz beschreibt den psychologischen Prozess der Bewältigung und Anpassung an schwierige oder herausfordernde Situationen. Dabei geht es um den Erhalt und die Förderung der Gesundheit in Stressphasen – und dazu gehört auch die psychische Gesundheit.
Der Psychologe Jack Block verwendete den Begriff erstmals in den 1950er-Jahren, als er die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern in Risikosituationen untersuchte. Er beschrieb resiliente Kinder als empathischer, belastbarer, intelligenter und emotional besser an ihre Situation angepasst. Darüber hinaus stellte er fest, dass resiliente Kinder selbstbewusster, neugieriger, kreativer und weniger ängstlich waren.
Resilienz ist jedoch nicht instinktiv. Wir neigen dazu, uns so lange nicht mit Problemen zu befassen, bis es fast zu spät ist, und sind dann oft mehr damit beschäftigt, Symptome zu bekämpfen, als sie rechtzeitig zu verhindern.
Deshalb ist es wichtig zu wissen, was Stress verursacht – um zu verstehen, wie wir unsere psychische Gesundheit proaktiv verbessern können, anstatt nur zu reagieren.
Stressauslöser verstehen und Resilienz aufbauen
Jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf Stressauslöser (Stressoren) sowie innere und äußere Reize. Zwischen folgenden Stressauslösern wird unterschieden:
- Interne Stressoren sind erziehungsbedingt und fördern die Wahrnehmung von Situationen oder Menschen als belastend (z. B. zu hohe Anforderungen oder Erwartungen, unerfüllte Wünsche, geringe Belastbarkeit).
- Externe Stressoren sind alltägliche Situationen, die wir als unangenehm oder bedrohlich empfinden (z. B. Lärm, Klima, Wartezeiten, Sorgen, Krankheiten, Schmerzen, Langeweile, Kritik).
- Psychisch-mentale Stressoren sind solche, die wir als psychische Belastung empfinden (z. B. Über- oder Unterforderung, Leistungsdruck, Zeitdruck, Konkurrenzdruck).
- Soziale Stressoren entstehen in unserer Beziehung zu unserem Umfeld (z. B. isoliertes Arbeiten, negative Arbeitsatmosphäre, Mobbing oder Mobbing am Arbeitsplatz).
Wenn uns solche Stressfaktoren in ungewohnten Situationen oder in Zeiten der Veränderung, Not und Krise treffen, schalten wir auf erlernte Denkmuster und Verhaltensweisen um, die wir für angemessen halten – eine Art Autopilot. Doch meistens löst dieses Verhalten die Krise nicht, weil wir reagieren statt vorausschauend zu handeln. Wir geraten in Panik und scheinen die Kontrolle zu verlieren.
Es ist wichtig zu bedenken, dass jede Person Stressoren und Krisen anders wahrnimmt und anders damit umgeht bzw. unterschiedliche Ressourcen zur Bewältigung benötigt.
Manche Menschen brauchen möglicherweise mehr Zeit, um belastende Erfahrungen sowohl körperlich als auch geistig zu verarbeiten, während andere sich trotz hoher Belastungen schnell erholen.
Die eigene Resilienz stärken ist ein Prozess
Hier ist der springende Punkt: Es gibt nicht die eine richtige Reaktion auf Stress. Der Schlüssel liegt darin, Resilienz zu kultivieren und zu wissen, wie man in bestimmten Situationen reagiert.
Resilienz ist eben keine erlernte Fähigkeit, sondern ein dynamischer Prozess des bewussten Wahrnehmens und Reflektierens der Stress auslösenden inneren und äußeren Reize, die uns unter Druck setzen und zum Handeln drängen. Resiliente Menschen entwickeln ein realistisches Bild ihrer Fähigkeiten. Sie sind sich ihrer Stärken und Schwächen sowie ihres Verhaltens, ihrer Emotionen, Fähigkeiten, Erfahrungen und Kompetenzen sowohl in stressfreien als auch in stressigen Momenten bewusst. Dieses Bewusstsein kann helfen, Hindernisse zu überwinden und schwierige Zeiten zu überstehen.
Resilienz beschreibt auch eine ressourcenorientierte Haltung – zu wissen, wann wir auf individuelle Fähigkeiten und Lebenserfahrungen zurückgreifen können (interne Ressourcen) und wann wir Unterstützung aus sozialen Kreisen brauchen (externe Ressourcen). Wir sind nicht immer in der Lage, unsere Herausforderungen alleine zu meistern. Indem wir unsere Fähigkeiten kennen, wissen wir auch, welche Schwächen und Defizite wir haben und können einschätzen, ob – und wann – wir Hilfe von anderen benötigen, um unsere Gesundheit zu erhalten oder Not zu überstehen.
Resilienz ist auch das Ergebnis eines Lernprozesses. Wir lernen zu reflektieren, unsere Fähigkeiten einzuschätzen und zu wissen, welche Ressourcen uns zur Verfügung stehen, um gesund zu bleiben und Stresszeiten zu überstehen. Wenn wir über eine überstandene Krise nachdenken, erfahren wir, was zu dieser Krise geführt hat, wie wir verschiedene Reize wahrgenommen und verarbeitet haben, und sehen auch, was wir brauchten, um damit fertig zu werden.
Das ist nichts, was über Nacht passieren kann. Es braucht Zeit, denn Resilienz zu lernen ist ein lebenslanger Prozess.
Mit Resilienz die psychische Gesundheit trainieren
Was sind also die Vorteile von Resilienz?
Wer die Anforderungen und Herausforderungen des täglichen Lebens bewältigen kann, um fundierte Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen, ist besser in der Lage, Stress und Belastungen zu bewältigen.
Die folgenden zentralen Resilienzfaktoren finden sich immer wieder in der wissenschaftlichen Forschung und tragen meiner Meinung nach dazu bei, die psychische Gesundheit zu erhalten sowie belastende Ereignisse besser zu bewältigen:
- Selbstwahrnehmung und Selbstakzeptanz: Sich der eigenen Emotionen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, aber auch der eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Schwächen bewusst zu sein, ist wichtig, um sich in Bezug auf unsere Umwelt zu verorten und die Wirkung von Reizen und Stressoren besser einzuschätzen.
- Soziale Kontakte: Der Kontakt zu empathischen Menschen kann uns helfen, zu erkennen, dass wir in Stresssituationen nicht allein sind. Finde vertrauenswürdige und mitfühlende Menschen, die deine Gefühle nachvollziehen können.
- Lösungsorientierung: Um Probleme effektiv zu lösen, konzentriere dich auf Chancen und Alternativen. Das erfordert Offenheit für neue Ideen und Perspektiven. Es kann auch bedeuten, Teil- oder Übergangslösungen umzusetzen. Bei der Lösungsorientierung ist es wichtig, dass du ein klares Ziel vor Augen hast.
- Zukunftsplanung: Um Pläne zu schmieden und an der Zielerreichung zu arbeiten, ist es wichtig, sich seiner Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen (also seines persönlichen Netzwerks) bewusst zu sein. Plane deine Ziele realistisch und gestalte aktiv deine eigene Zukunft.
- Verantwortung: Verantwortung zu übernehmen bedeutet, Entscheidungen möglichst unabhängig von äußeren Einflüssen zu treffen. Dazu gehört es, Einflussmöglichkeiten zu identifizieren und zu nutzen. Das bedeutet auch, dass du dir deiner Aufgaben und den Erwartungen deines Umfelds bewusst bist und deine eigenen Ressourcen sowie Fähigkeiten aktiv kommunizierst.
- Optimistischer Realismus: Eine positive Einstellung stärkt unsere Handlungsfähigkeit und unser Selbstbewusstsein. Optimismus bezieht sich insbesondere auf Erwartungen, die du an dich selbst stellst, also die realistische Einschätzung deiner Fähigkeiten sowie deren effektiven Einsatz.
Resilienz ist keine Garantie gegen Krankheit, Unzufriedenheit und Stress
Durch die immer populärer werdende wissenschaftliche Diskussion um Resilienz wird leider auch die Bedeutung dieses Begriffs falsch interpretiert und mittlerweile überstrapaziert. Ein regelrechter Hype ist entstanden – mit Ratgebern, Seminaren und Trainings von zahlreichen selbsternannten Experten.
Bitte bleib hier vorsichtig! Denn so sehr jetzt auch behauptet wird, Resilienz sei eine Fähigkeit, so entsteht auch leicht der Eindruck, Resilienz sei das Heilmittel gegen alle psychischen Belastungen. Resilienz als Prozess und auch als Haltung kann helfen, Stresssituationen vorzubeugen oder sie zu überstehen. Es hilft aber nicht bei psychischen Erkrankungen und ersetzt keinesfalls eine Therapie.
So sehr uns Resilienz dabei hilft, Wege aus einer Krise zu finden, so wichtig ist es auch, die Ursachen von Stresssituationen zu analysieren und die kulturellen und strukturellen Probleme innerhalb der Organisation zu identifizieren. Dieser entscheidende Schritt wird in all diesen gehypten Ratgebern kaum erwähnt, was den Eindruck erweckt, dass es nur an uns liegt, wenn es darum geht, uns an stressige Umstände anzupassen.
Resilienz am Arbeitsplatz
Genauso liegt es in der Verantwortung von Organisationen, die internen Arbeitsbedingungen stärker in den Fokus zu rücken und Krisen aktiv zu verbessern oder zu verhindern.
Die Studie des Center for Strategic Communication Excellence zeigt, dass 73% der Kommunikationsfachleute glauben, dass ihre Organisation mehr tun sollte, um das psychische Wohlbefinden und die Erhaltung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz zu fördern.
Wenn wir im Rahmen der internen Kommunikation über psychische Gesundheit sprechen, müssen wir auch die Arbeitsbedingungen und das psychische Wohlbefinden der internen Kommunikator*innen in den Mittelpunkt stellen und diese bei der Erhaltung ihrer psychischen Gesundheit unterstützen.
Aus diesem Grund haben wir die Kampagne „Summer of Self-Care“ mit Blogartikeln, LinkedIn-Live-Events, Diskussionen und Selbsthilfegruppen im Kanal für psychische Gesundheit von Comms-unity gestartet.
Im September bieten wir einen wöchentlichen E-Mail-Kurs an, um mehr über Resilienz zu erfahren und wie du mit den zuvor erwähnten Resilienzfaktoren arbeiten kannst. Für weitere Informationen zur Anmeldung zum Start des Kurses abonniere unseren Newsletter.
Mehr über Resilienz zu lernen, hat mir geholfen, besser auf mich selbst zu hören und mein Verhalten zu beobachten – insbesondere in Interaktion mit meiner Umgebung. Wann ich mich emotional überfordert und (geistig) erschöpft fühle, erkenne ich mittlerweile schon an einem dieser Anzeichen:
- Ich habe keine Motivation, irgendetwas zu tun.
- Ich bin leicht reizbar.
- Ich fühle mich leer oder ausgebrannt.
- Ich ziehe mich aus sozialen Situationen zurück.
- Ich habe Schwierigkeiten einzuschlafen oder die ganze Nacht durchzuschlafen.
- Ich habe keine Geduld und bin oft nervös.
- Ich bekomme Angst- oder Panikattacken.
Das alles sind typische Ausweichstrategien. Ich habe Verantwortung, Konfrontationen und mögliche Streitigkeiten und Konflikte vermieden. Währenddessen habe ich andere für meine Fehler verantwortlich gemacht und tat mir selbst leid.
Resilienz als Haltung hilft mir also, mir meiner Gedanken und Gefühle, aber auch meines Handelns, bewusst zu werden und Verantwortung für diese zu übernehmen. Resilienz hilft mir zu verstehen, dass ich Herausforderungen nicht alleine bewältigen muss. Es ist in Ordnung, um Hilfe zu bitten und zu signalisieren, wenn mir etwas zu viel wird.
Aber ich habe auch gelernt, dass Resilienz seine Grenzen hat. Als ich verstanden habe, dass ich sowohl mir als auch meinem Umfeld nicht mehr helfen konnte, habe ich die Hilfe eines Therapeuten aufgesucht. Resilienz ist für mich eine hilfreiche Ergänzung zur Therapie, gerade zwischen den Sitzungen, um Erkenntnisse zu verarbeiten und wieder Zukunftspläne zu schmieden, sobald es mir besser geht.
Wenn du tiefer in das Thema der Resilienz eintauchen möchtest, dann melde dich für unseren E-Mail Kurs an und erhalte in vier Lektionen weitere Informationen zu den Resilienzfaktoren mit Übungen für dich.
Hier sind außerdem einige Bücher zum Thema, die ich wärmstens empfehlen kann:
- Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände (2012) von hrsg. Rosmarie Welter-Enderlin und Bruno Hildenbrand
- Resilient durch Krisen: Wie Führungskräfte und Teams schwierige Zeiten bewältigen (2022) von Ariane Bentner und Jan P. Jung
- Zum Glück ist es nicht weit: Sieben Kompetenzen für eine bessere Beziehung zu sich und anderen (2019) von Ben Furman
- Resilienz – Das kleine 1×1 psychischer Widerstandskraft (2019) von Nora Sandberg
- Stress abbauen – Resilienz aufbauen: Mit diesen bewährten Techniken der Stressbewältigung bleiben Sie im Alltag gelassen (2020) von Derick Howell
- Über den Sinn des Lebens (2021) von Viktor E. Frankl
Lass uns die Unterhaltung in Comms-unity fortsetzen. Hast du versucht, Resilienz zu üben? Welche Ressourcen empfiehlst du? Vor welchen Herausforderungen stehst du gerade?
Wo auch immer du dich in deinem Prozess befindest, unser #mental-health-Channel ist ein sicherer Ort für Diskussionen. Wir sind für dich da und wollen dich unterstützen.